21.03.2022 Interview

„Ausländische Pflegekräfte sind keine Ware“

Ausländische Pflegekräfte ©Daniel Ernst - stock.adobe.com

Warum braucht Deutschland ein Gütesiegel für die faire Anwerbung ausländischer Pflegekräfte? Was muss passieren, damit sie sich hier wohlfühlen? Eine Stunde lang sprach die Pflege-Expertin und Gerontologin Sarina Strumpen mit Pflegedienstleiterin Suzanne Matthiä über gelungene Integration, unseriöse Vermittlungsagenturen und die Aufwertung des Pflegeberufs.

Frau Strumpen, Sie arbeiten für das Kuratorium Deutsche Altershilfe, das im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums das Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ entwickelt hat. Es ist auch Voraussetzung für die Unterstützung durch das gleichnamige Förderprogramm. Warum war es notwendig, ein solches Kennzeichen einzuführen?

Dr. Sarina Strumpen: Ausschlaggebend war, dass die Arbeitgeber den Markt an Vermittlungsagenturen für internationale Pflegekräfte oft nicht gut einschätzen konnten. Es gab viele schlechte Erfahrungen. Und da haben sich auch die Unternehmen für ein Gütesiegel ausgesprochen, das gute Vermittlungspraxis kenntlich macht. Das Gütesiegel bietet bei der Auswahl der Agentur jetzt eine verlässliche Orientierung.

Sie haben das gerade schon durchklingen lassen. Es finden sich durchaus schwarze Schafe unter den Vermittlungsagenturen. Welche Probleme gibt es in diesem Bereich?

Strumpen: Das ist ein absolut unreguliertes Tätigkeitsfeld. Das heißt, jeder kann internationale Personalvermittlung betreiben. Das ist eine sehr junge Branche, die erst seit 2012 systematisch wächst.

Der zentrale Punkt ist für mich, dass die Pflegekräfte als Partner auf Augenhöhe im Vermittlungsprozess mit einbezogen werden. Nachhaltige Anwerbung funktioniert nur dann, wenn die jeweilige Fachkraft ihre Interessen abgebildet sieht und Wahlmöglichkeiten hat.


Dr. Sarina Strumpen, Kuratorium Deutsche Altershilfe

Frau Matthiä, Sie arbeiten für die Kliniken der Stadt Köln. Ihr Haus hat sich für die Teilnahme am Förderprogramm des BMG entschieden und damit auch für eine faire und transparente Anwerbung. Wie wichtig war Ihnen dieser Aspekt?

Suzanne Matthiä: Wir begrüßen sehr, dass es jetzt einen Grundstock an Regeln für eine faire Anwerbung und Vermittlung der Pflegekräfte gibt. In den vergangenen Jahren sind die Vermittlungsagenturen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Darunter waren solche, die regelrechte Knebelverträge aufsetzen wollten. Und auch ethisch-moralische Aspekte wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Da sollte beispielsweise eine Pflegekraft direkt einreisen, nachdem sie gerade ihr Kind bekommen hatte. So etwas ist für uns natürlich völlig inakzeptabel.

Was ist in Ihren Augen zentral für eine faire Anwerbung und Vermittlung von internationalen Pflegekräften?

Strumpen: Der zentrale Punkt ist für mich, dass die Pflegekräfte als Partner auf Augenhöhe im Vermittlungsprozess mit einbezogen werden. Nachhaltige Anwerbung funktioniert nur dann, wenn die jeweilige Fachkraft ihre Interessen abgebildet sieht und Wahlmöglichkeiten hat. Das ist dann eine gute Basis, auf der sich ein mittel- bis langfristiges Arbeitsverhältnis entwickeln kann. Agenturen und Arbeitgebende, die von sich behaupten, dass sie ethisch vertretbar anwerben wollen, müssen zudem sicherstellen, dass auch bei Abbruch und Kündigung das wirtschaftliche Risiko einer internationalen Anwerbung nicht von den Pflegekräften getragen wird.

Matthiä: Da schließe ich mich komplett an. Augenhöhe ist ganz wichtig, die Pflegekräfte, die angeworben werden, nicht als Ware zu betrachten. So war das in der Vergangenheit ja leider oft. Die Recruiter stellten einem alle möglichen Lebensläufe vor und man dachte: Da stehen doch Menschen dahinter, kann ich die mal bitte kennenlernen. Da ist man noch ganz intuitiv vorgegangen. Jetzt wo es Konzepte gibt, mit denen wir arbeiten können, macht es für alle Beteiligten nochmal alles viel klarer. Jetzt sind wir richtig gut aufgestellt und wissen, wie wir gemeinsam im Team vorgehen müssen.

Ich bin sehr stolz auf unser Team, wenn ich sehe, mit welcher Freude sie diese Integrationsaufgaben übernehmen, weil sie jetzt wissen, wie es funktioniert.


Suzanne Matthiä, Pflegedienstleitung bei den Kliniken der Stadt Köln

Zu den Kriterien des Gütesiegels zählt auch ein Konzept für die betriebliche Integration der ausländischen Fachkräfte. Was macht eine gelungene Integration aus?

Matthiä: Die Integration beginnt für uns schon im Heimatland, sobald wir die neuen Kolleginnen und Kollegen ausgewählt haben. Mit den Pflegekräften, die im Juni 2022 einreisen, sind wir schon seit Juli 2021 in Kontakt. Sie sind mit ihren künftigen Mentoren in unserem Haus digital vernetzt und haben schon ganz viel von ihren künftigen Stationen gesehen. Sie tauschen sich fachlich aus, aber auch privat, verschicken Fotos, etwa vom Kölner Dom, oder Weihnachtsgrüße. Alle freuen sich auf die Neuen, die uns schon ein Stück weit vertraut sind. Und auch nach der Anerkennung hört der Integrationsprozess nicht auf. Ich denke dabei an Wohnraumsuche und Familiennachzug.

Die Kliniken der Stadt Köln werben bereits seit 2014 ausländische Pflegekräfte an. Welche Erfahrungen haben Sie damit bisher gemacht? Gab es für Sie auch eine Art Lernprozess?

Matthiä: Oh ja, wir haben in dieser Zeit ganz, ganz viel gelernt. Am Anfang hatten wir noch keine Ahnung, wie das alles funktionieren sollte. Die Erfahrung hat uns aber gelehrt: Wenn wir uns nicht genug kümmern, dann verlassen uns die Pflegekräfte auch wieder. Somit haben wir uns von allen Seiten im Unternehmen Unterstützung geholt und ein Team aufgebaut. Seit 2017 haben wir dann ein eigenes Integrationsmanagement eingeführt. Ich bin sehr stolz auf unser Team, wenn ich sehe, mit welcher Freude sie diese Integrationsaufgaben übernehmen, weil sie jetzt wissen, wie es funktioniert.

Integrationsmanagement, Mentoren-Programme, digitale Vernetzung – das klingt zunächst nach viel Arbeit und Personalaufwand. Frau Strumpen, wie kann es auch kleineren Einrichtungen gelingen, die Kriterien für eine faire Anwerbung und gute Integration der Pflegekräfte zu erfüllen?

Strumpen: Wenn kleinere Einrichtungen internationale Anwerbung für sich als nötigen und richtigen Weg der Personalgewinnung sehen, dann kommen sie nicht umhin, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen und Strukturen aufzubauen. Das Förderprogramm „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ will ja genau hierbei unterstützen. Darüber hinaus haben kleinere Einrichtungen auch Vorteile: Die Atmosphäre im Haus ist oft familiärer und Ansprechpartner sind leichter greifbar.

Als Orientierung bieten Sie den Werkzeugkoffer „Willkommenskultur & Integration“ an. Was sind die zentralen Punkte?

Strumpen: Der Werkzeugkoffer ist ein Online-Angebot mit einem Blumenstrauß für Inspirationen und Ideen zum betrieblichen Integrationsmanagement. Ein wichtiger Punkt ist, Brücken zu schlagen zu arbeitgeberunterstützenden Strukturen, die es in Deutschland schon gibt. Wir zeigen hier auch gute Beispiele aus der Praxis auf und geben Erfahrungswerte weiter. Gerade auch für kleinere Einrichtungen ist das essentiell, da diese sich in der Praxis nicht so viele Fehltritte erlauben können.

Was müsste noch getan werden, um Deutschland für qualifizierte Pflegekräfte aus dem Ausland attraktiver zu machen?

Matthiä: Ich sehe nach wie vor Unterstützungsbedarf bei den Behörden, sei es die Bundesagentur für Arbeit oder das Ausländeramt. Es hat uns viel Zeit und Ressourcen gekostet, die ganzen bürokratischen Hürden zu nehmen. Auch diese Gremien sollten mit Blick auf die Anwerbung ausländischer Fachkräfte geschult werden. Viele dieser Stellen gestalten ihre Prozesse so unterschiedlich, dass es für eine internationale Pflegekraft schwer ist, da durchzublicken.

Strumpen: Es gibt noch einen Punkt, der mittel- und langfristig relevant ist. Deutschland hat beim Berufsbild Pflege einen Sonderweg gewählt. Zum einen ist es bei uns weiterhin ein Ausbildungsberuf. Fast alle Herkunftsländer setzen dagegen auf akademische Abschlüsse. Darüber hinaus liegt der Fokus stark auf der Grundpflege. Pflegekräfte aus dem Ausland sind oft erstaunt, welche Tätigkeiten in Deutschland alle unter Arztvorbehalt stehen und wie wenig ihre Expertise systematisch einbezogen wird. Das muss auch erläutert und erklärt werden. Je internationaler die Mitarbeitenden werden, umso drängender wird es, unsere bisherige Sicht auf den Pflegeberuf zu hinterfragen. Das können wir hier in Deutschland auch als Chance begreifen.

Matthiä: Ich kann das nur bestätigen. Wir profitieren sehr von der Expertise unserer ausländischen Pflegekräfte. Wir hatten hier eine Vorstellungsrunde, da haben die neuen Kolleginnen und Kollegen erzählt, was sie alles können und schon gemacht haben. Da fragte die Stationsleiterin hinterher: Wer arbeitet denn jetzt hier wen ein? Da ist so viel Fachwissen vorhanden. Und das nutzen wir und binden das mit in die Einarbeitungskonzepte und Praxisanleitung ein. Die politische Diskussion um den Pflegeberuf muss zwingend fortgesetzt werden.